Marie-Pascale Gafinen –
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Mein erstes Präsenztraining für Generative Scribing

Eine Rückschau

dock 11 eden building

Im Januar 2025 habe ich mein erstes Präsenz-Training für Generative Scribing im dock 11 eden in Berlin Pankow angeboten. Danach fragen dann alle: „Na, wie war’s?“ und ich finde das gar nicht so leicht zu beantworten. Zum einen kann man die Frage auf so vielen Ebenen beantworten: Da ist die Logistik, (Essen, Raum, Material…), dann die allgemeine Stimmung und schließlich die inhaltliche Arbeit. Und bei all dem kann ich ja immer nur MEIN Erleben schildern, was ja total subjektiv ist. Leider kann ich nicht in die Teilnehmenden reinschauen, wie die die Tage erlebt haben. Es bleibt also nur zu erzählen, was ich erlebt habe und natürlich die Rückmeldungen der Teilnehmenden. That being said – hier kommt hier eine Rückschau.

Ein Stuhlkreis – ein soziales Feld

Wir sitzen im Kreis. Sieben Frauen, jede mit einer eigenen Geschichte. Natürlich hatte ich einen Einstieg geplant und mir überlegt, was sich zu Beginn sagen möchte. Aber dann, in diesem Moment wurde mir bewusst: Diese sieben Frauen kamen aus ihren eigenen Kontexten. Viele, viele Menschen, Faktoren und Zufälle hatten dazu geführt, das sie heute hier sind. Und so entschied ich mich spontan, das zu würdigen: Hinter jeder von uns standen Menschen, die uns heute den Rücken frei halten, Menschen, die uns hierher gebracht hatten, im übertragenen und im praktischen Sinne. In diesem Kreis trafen unsere Perspektiven und Möglichkeiten aufeinander und genau hier begann unsere gemeinsame Reise ins Generative Scribing: Wir waren ein soziales Feld. Und jede dieser Frauen, würde in ihr eigenes Feld wirken, wenn sie aus dem Kurs ging.

Und natürlich würdigte ich die Person, die mich hier her gebracht hatte: Kelvy Bird, meine Lehrerin, Mentorin und Kollegin, die Generative Scribing entwickelt und beschrieben hat und von der ich es gelernt habe. Generative Scribing ist eine Form der Live Visualisierung, wir visualisieren in Echtzeit und auf großem Format, das Gespräch einer Gruppe um es zu unterstützen. Anders als beim Graphic Recording, dokumentieren wir dabei nicht (ausschließlich) das bereits Bekannte, sondern hören auch auf das Unbekannte, das sich im Gespräch zeigen will. Diese Methode baut auf die innere Haltung des Scribes und auf seine Kapazität, sich der Gruppe, dem sozialen Feld, zuzuwenden.

    Vom Hirngespinst zur Realität

    Am Abend vorher, war in mir ein inneres Bild aufgetaucht, eine Vision, die ich schon lange in mir trug: Von einem Raum, den ich für andere schaffe, in dem Menschen in Kontakt kommen können mit sich selbst und mit der Essenz, die zu Vorschein kommt, wenn das Rauschen der Welt für einen Moment schweigt. Es klingt ein bisschen verrückt, aber erst in meinem Gästezimmer im Dock 11 eden merkte ich, dass diese Vision jetzt Realität wurde.

    So einen Präsenzkurs zu organisieren, komplett auf eigene Faust, ist ein wilder Ritt! Ich hatte ja schon Erfahrung mit Präsenzkursen, zum Beispiel den Trainings für Visual Facilitation im Interkulturelle Kontext, die ich my Lydia Aubin für’s Forum Bayreuth in Frankreich und Deutschland durchgeführt habe. Aber da hatte es immer einen Host gegeben, einen Veranstalter und wie waren nur für die Durchführung zuständig. Und ich hatte schon Onlinekurse durchgeführt sowohl mein eigenes Online Programm ‚Generative Scribing – Explore&Reflect‘ als auch die Programme ‚Visual Sensmeaking‘ und ‚Levels of Scribing‘, die ich zusammen mit Kelvy Bird entwickelt und durch geführt habe. Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, wieviel einfacher das ist: Du brauchst keinen Raum, du brauchst kein Catering, du musst kein Material durch die Gegend schleppen. Keiner muss anreisen, keiner muss übernachten, alles irgendwie weniger komplex. 


      Wie kleine Dinge den Prozess vertiefen

      In der Vorbereitung des Kurses hatte ich viele Dinge getan, ohne genau zu wissen, warum sie mir so wichtig erschienen. Ich hatte zum Beispiel im Bioladen gestanden und akribisch Obst und Snacks ausgesucht. Acrylmarker für die Teilnehmenden angepumpt, damit die sofort los malen können damit. Und sehr viel darüber nachgedacht, wann in Trainingsdesign wir ins eden Café gehen würden um Kaffee zu trinken – so viel, dass ich über mich selbst hatte lachen müssen, weil ich mich so sehr in diesen ‚Nebensächlichkeiten‘ vertiefte.

      Als der Kurs dann lief, fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen: Diese vielen kleinen Details – die Snacks, die Qualität des Kaffees, ob die Marker startklar waren – das waren nicht bloß belanglosen Kleinigkeiten. Sie formten den Container, also den Raum, den wir für unsere gemeinsame Arbeit hielten. Und je stabiler dieser Container ist, desto tiefer kann der Prozess gehen.“

      Das war er also, unser Container, und ich war bereit, mit meinen Teilnehmerinnen loszugehen zu einem Ort in ihnen selbst. Und damit meine ich: Jede sollte in sich selbst zu einem Ort reisen, wo sie Verbindung spürt. Gleichzeitig würden wir gemeinsam als Gruppe etwas werden, das mehr ist als die Summe seiner Teile.

      Los geht’s: Die ersten Linien aufs Papier bringen

      Nun war es an der Zeit, diesen Raum mit Leben zu füllen. Die ersten Marker wurden gezückt, und wir tauchten ein: Emotionen, wo sind die in meinem Körper? Und wie kommen Sie aufs Blatt? Wir experimentierten mit abstraktem visuellen Vokabular. Gerade für die Graphic Recorderinnen in der Gruppe war das noch ungewohnt, sind doch normalerweise Icons und figurative Bilder gefragt. Ich sah, dass es Mut kostet, loszulassen. Wir dikutierten Fragen wie z.B.

      • Wie abstrakt muss es sein?
      • Muss ich Worte verwenden? Wie viele?
      • Kann ich auch figurativ arbeiten?
      • Darf es auch schön sein?

      Gerade die letzte Frage überraschte mich! Die Irritation war entstanden, weil ich gesagt hatte, dass es nicht um ein schönes Endergebnis geht. Was natürlich nicht bedeutet, das Generative Scribing nicht ästhetisch sein darf oder soll! Viel mehr wollte ich dazu ermutigen, das, was spürbar wird, und von dem wir wissen, dass es da ist, abzubilden, selbst wenn das Scribing dadurch weniger „schön“ wird. Oft stehen wir ja unter Druck, ästhetisch perfekte und abgerundete Ergebnisse abzuliefern und lassen die Dinge, die irgendwie unklar, unscharf oder vielleicht auch einfach nicht so ‚schön‘ sind deshalb weg. Aber wenn es diesen Zwiespalt nicht gibt, wenn wir es schön und wahr darstellen können, dann darf General Scribing natürlich auch schön sein!

        Erleichterung bei der Fragenden: Ja, jede kann ihren eigenen Stil finden! Nein, es gibt keine Regeln, wie es aussehen muss! Ich hatte den Eindruck, dass solche Themen im Präsenzkurs eher an die Oberfläche kommen, einfach weil man soviel Zeit zusammen verbringt. Das Tolle daran ist ja, wie wir uns in ganz unterschiedlichen Settings begegneten. Da war der Kurs an sich, dann aber auch Pausen und der Weg in den Caféraum, wo auch mal ein Gespräch zu zweit passierte. Dann waren da die gemeinsamen Mittagessen, wo Fragen vertieft und weiter gesponnen und auch mal über was ganz anderes geredet wurde. Im Endeffekt sind es ja auch diese Situationen, wo die Teilnehmerinnen Zeit hatten, sich wirklich gegenseitig kennen zu lernen. Es machte mir enorme Freude zuzusehen, wie nach und nach Verbindungen entstanden!

          Fünf Domänen des Generative Scribing

          Inhaltlich arbeiteten wir uns durch Kelvy Birds Model of Practice, die fünf Domänen des Scribings:

          • sich zuwenden (join)
          • wahrnehmen (perceive)
          • wisse (know)
          • zeichnen (draw)
          • sein (be)

          Natürlich haben wir in den zwei Tagen viel über Theorie gesprochen. Am bedeutendsten habe ich aber die innere Arbeit empfunden. Als würde ich die Gruppe wie einen Teig zu kneten. Wie können wir die Einzelteile zu einem Ganzen machen? Es ist ein Zusammenspiel auf vielen Ebenen: Wie geht es jeder einzelnen mit sich selbst? Gehen die Teilnehmenden in Beziehung mit mir? Wie ist ihre Beziehung untereinander? Fühlen sie sich sicher und haben sie Gelegenheit, sich zu öffnen? Wenn es gelingt, dann schwingt alles zusammen und hilft der Gruppe, ihre Wahrnehmung zu öffnen. Und wenn wir Glück haben, erleben sie dann Presencing.

          Wie beschreibt man Presencing?

          Presencing bedeutet, mit voller Aufmerksamkeit im Moment zu sein und gleichzeitig zu spüren, dass etwas Neues entstehen will. Es geht darum, diesen Moment bewusst wahrzunehmen, ihm Raum zu geben und aus dieser Klarheit heraus zu handeln.

          „Beschreibe jemand ein Erleben, das er kennt, für das ihr aber kein gemeinsames Wort habt!“ Was für eine verrückte Aufgabenstellung! Du bewegst dich im Dunkeln, du weißt nicht, wie der andere sein Inneres erlebt. Also versuchst du verschiedene Metaphern, verschiedene Formulierung. Über Presencing reden ist sehr merkwürdig, denn intellektuell können wir da vielleicht mitgehen und nicken und sagen „ja, klingt logisch.“ Solange die Teilnehmenden es nicht fühlen und spüren „Aja, das ist das wovon sie redet!“, bleibt es abstrakt. Und zu viel reden hilft auch nicht, es baut nur Druck auf und bringt Menschen in ihren Kopf, weg von ihrem Körper, wo das Erleben stattfinden. Also tanzen wir zwischen Stille und Anregung, spielen und zuhören, im Außen beobachten und nach innen schauen.

          Ein Wesen mit 16 Armen und Beinen

          Und dafür müssen sich auch die Körper bewegen! Was für ein Glücksfall, dass ich Lou angefragt hatte, mir bei der Leitung des Kurses zu assistieren! Sie leitete spielerisch leichte Bewegungseinheiten an und gab uns immer wieder die Gelegenheit, uns selbst und unsere Körper zu spüren, uns locker zu machen und die ganze Theorie auch mal wieder loszulassen. Wir bewegten uns gemeinsam im Raum, machten Quatsch, lachten und plötzlich war es da, ein Wesen mit 16 Armen und 16 Beinen! Aus acht Menschen war eine Einheit entstanden.

          Live-Visualisierung: Eine neue Herausforderung

          Am Morgen des zweiten Tages bekamen wir Besuch: Ich hatte Felice Meer eingeladen zu einer Gesprächsrunde mit Lou und mir, drei künstlerisch arbeitende Frauen an unterschiedlichen Stationen in ihrem Leben. Wir redeten über Felices Grafische Novelle „Püppi und Tante“, über Motivation und Disziplin und über Kehrtwenden im Lebenslauf.
          Die Teilnehmerinnen scribten live während unserer Gesprächsrunde – mit Zeitdruck und mit dem Bewusstsein, dass externe Augen die Ergebnisse betrachten würden. Das brachte eine neue Dynamik mit sich.

          Wieder unter uns reflektierten wir gemeinsam: Wie war es gelaufen? Was fiel leicht, wo gab es Herausforderungen? Ich finde das ist immer noch eine der besten Methoden zu lernen: ausprobieren, reflektieren, nachjustieren. Als ich dann während unserer letzten Scribing-Übung zusah, wie sie all das anwendeten, was wir besprochen hatten, war ich ziemlich beeindruckt. Jede einzelne hatte sich ein großes Stück weiter bewegt. Ich sah mutige klare Formen da wo am Anfang noch unsicheres Ansammeln gestanden hatte. Auf den braunen Papiereb sah ich organische aus dem Körper heraus gezeichnete Visualisierungen. Ich sah, wie der eigene Stil eingebracht und erweitert wurde um tiefere Wahrnehmungsebenen abzubilden.

          Was bleibt nach dem Training?

          Besonders spannend war es zu sehen, wie jede die Methode für sich interpretierte und in ihren eigenen Kontext mitnahm. Eine Teilnehmerin, die bereits als Coach Teams begleitet, fand hier eine neue Verbindung zwischen tiefem Zuhören, visuellem Ausdruck und Gruppenprozessen. Andere, die aus der Graphic-Recording-Welt kamen, erlebten, wie sich ihre Praxis hin zu einer tieferen, generativen Ebene erweitern kann. Es war inspirierend zu sehen, wie sich Generative Scribing als Brücke zwischen verschiedenen Feldern erweist – und wie die Teilnehmenden es mit neuem Selbstbewusstsein und kreativer Freude in ihre eigene Arbeit tragen.

          In einem der Feedbackbögen steht später:

          „Eine wunderbare Einführung in die Methode Generative Scribing. Marie Pascale geht sehr sensibel mit allen Teilnehmenden um und ermöglicht so Raum für Ausprobieren, Fühlen, zu Papier bringen. Ich fühle mich bestärkt darin, mutig mit Kunden auf ein neues Level des „Recordings“ zu gehen.“

          – Peggy N.

          Graphic Recorderin, Business Illustratorin, Facilitatorin

          Hat sich also gelohnt, die Arbeit am Container. Ich freue mich, sehr sogar!

          Und ich? Was nehme ich mit?

          Beim Checkout hatte eine der Teilnehmerinnen gefragt: „Was nimmst DU mit, Marie-Pascale?“. Und ich habe gesagt: „Ich weiß jetzt, dass es geht.“ Natürlich hab ich’s irgendwie die ganze Zeit gewusst. Aber dann ist es Realität geworden und man (ich) schaut erstaunt zurück und denkt: „Sieh mal einer an: Ein Generative Scribing Workshop. In Präsenz. Wer hätte das gedacht?“

          ✅ Ausprobieren. (Check!)

          ⬜️ Reflektieren.

          ⬜️ Nachjustieren.

           

          Der nächste Kurs findet vom 10. bis 12. Juni 2025 statt.
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